Die Dachboden-Krise


Hoffnung lächelt von der Schwelle des neuen Jahres

Der Jahresanfang hat etwas Magisches: Er ist wie das erste unbeschriebene Blatt in einem neuen Tagebuch. Noch nicht vollgekritzelt mit irgendwelchen unfrisierten Gedanken in liederlicher Schrift. Ganz frisch und voller Verheißung. Am 1. Januar eines Jahres scheint einfach alles möglich!

Ich liebe einen Satz von Alfred Lord Tennyson, den ich mir jedes Jahr zu Beginn wieder vorn in meinen Terminkalender schreibe: „Hope smiles from the threshold of the New Year and whispers: it will be better!“ („Hoffnung lächelt von der Schwelle des neuen Jahres und flüstert: Es wird besser!„)

Von guten Vorsätzen und dem Glück des Entrümpelns

Also notiere ich hoffnungsfroh meine Vorsätze fürs neue Jahr. Ich will mehr Ordnung in mein Leben bringen. Alle Welt redet von der Konmari-Methode, der Putz- und Entrümpelungs-Ideologie der Japanerin Marie Kondo.  Selbstverständlich habe ich Ihren Weltbestseller „Magic Cleaning: Wie richtiges Aufräumen Ihr Leben verändert“  gelesen und die Sache ist ganz einfach: Egal ob Klamotten, Kosmetik oder Bücher – man nimmt alles einmal in die Hand und stellt jedem Gegenstand die Frage: „Machst Du mich glücklich?“ Dinge, die nicht glücklich machen, wandern in den Müll oder sie kommen auf den „vielleicht“-Haufen, wenn man sich noch nicht ganz sicher ist.

Machst Du mich glücklich?

Ich nehme mir als erstes den Dachboden vor, den die Kinder nicht ganz zu Unrecht die „Kammer des Schreckens“ nennen. Seit dem Tod meiner Schwiegermutter stapeln sich dort Kisten mit altem Geschirr, handbestickten Sofakissen, Bergen von Fotos, vergilbten Lampenschirmen und etlichem mehr. Nicht schön, aber von sentimentalem Wert für meinen Mann, der meinem Vorhaben deshalb auch äußerst skeptisch gegenüber steht.

An einer zentralen Stelle, soll man nach Marie Kondo alle Gegenstände ausbreiten, um sich einen Überblick zu verschaffen. Ich wähle deshalb das Wohnzimmer und es kommt zum ersten offenen Konflikt mit meinem Mann, der sich der Konmari-Methode offen verweigert. Grummelnd zieht er sich mit seiner Zeitung zurück, während ich eine angeschlagene, jahrzehnte-alte Rührschüssel in die Hand nehme und sie frage, ob sie mich glücklich macht…  Dabei drängt sich die Frage auf: Was ist eigentlich Glück? Und kann eine Rührschüssel mich glücklich machen? Wir kennen uns ja kaum! Aber direkt unglücklich macht sie mich auch nicht…  Wer weiß, vielleicht kann unser Jüngster sie in der neuen WG gebrauchen, vielleicht kann man sie zum Anrühren von Gips verwenden oder als Spielzeug für ein Enkelkind – irgendwann … Sie kommt erstmal auf den „Vielleicht“-Haufen…

Wiedersehen mit Helga

Mein Mann beobachtet vom Lesesessel aus argwöhnisch mein Tun und springt auf, als ich einen verrosteten Blechteller auf den Müllstapel legen will. „Das kommt überhaupt nicht in Frage“, empört er sich. „Von diesem Teller habe ich als kleiner Junge  gegessen.“ Und dann fällt sein Blick auf ein undefinierbares, säckchenartiges Etwas mit Fransen: „Helga!“, jauchzt er, wie jemand, der einen lange verlorenen Freund wiedersieht, und entreißt mir den Stoffklumpen. „Das ist Helga, meine erste Puppe!“.  Fast 60 Jahre hatte er Helga völlig vergessen, jetzt will er sie partout behalten.  Ich argumentiere, dass Helga ein unappetitliches, von Motten zerfressenes Stück Plunder sei, was unser Gespräch kurzzeitig etwas lauter und hitziger werden läßt. Mein Mann wirft mir Herzlosigkeit und eine gedankenlose „Wegwerfmentalität“ vor. Ich wiederum erinnere spontan an die zahllosen Momente, in denen er  Achtlosigkeit an den Tag gelegt. Vor kurzem erst hat er beispielsweise Teile meiner Weihnachtsdekoration als Schrott bezeichnet hat.

Entrümpeln – der direkte Weg in die Beziehungskrise

Mitten im Wohnzimmer, umgeben von einem Haufen Ramsch entwickelt sich das Gespräch mehr und mehr in Richtung: „Was ich Dir längst schon mal an den Kopf werfen wollte“…  Helga verlieren wir im Eifer des Gefechts mehr und mehr aus dem Blick. Als ich meinen Mann irgndwann spitz darauf hinweise, passiert es: Er holt zum alles entscheidenden Schlag aus: „Helga macht micht glücklich“, schnaubt er triumphierend.  Zusammen mit dem Rosttellerchen wandert Helga in die „Behalten“-Kiste.

Am Ende entsorge ich – heimlich! – sieben Schuhlöffel, ein Nudelholz aus dem Neolithikum  und gefühlte 300 Brillenputztücher, bevor ich den Rest zurück auf den Dachboden schleppe. Das Entrümpeln habe ich erstmal aufs nächste Jahr verschoben.